Die Umerziehung der Vögel: Ein Malerleben
von Hans H. Grimmling, Doris Liebermann
Lesung am 2. November 2011 um 19.00 Uhr in der Buchhandlung89.
Moderiert von Vera Lengsfeld
Eine Veranstaltung mit Unterstützung der Europäischen Kommission für Menschenrechte e.V.
Michael Zajons, Tagesspiegel, April 1, 2008
Zum Glück viel mehr als die üblichen Künstler-Befindlichkeiten und
Eitelkeiten. "Die Umerziehung der Vögel" repräsentiert ein Stück
deutsch-deutsche Zeitgeschichte.
Bernd Heimberger literaturmarkt.info, März 17, 2008
Was im hauptsächlichen Teil des Buches über die bedrängende DDR gesagt
wird, das ist gründlich Durchdachtes. Das macht die
Grimmling-Biographie, in ihrer Dichte, zu einer differenzierten
DDR-Biographie. Die wird für das Schreiben der wirklichen DDR-Geschichte
noch gebraucht!
Von Uta Baier
Rubens auf Friedenswacht
Der Maler Hans-Hendrik Grimmling zeichnet in seiner Autobiografie ein ungeschminktes Bild vom Künstlerdasein in der DDR
Gleich nach dem Mauerfall begann das Warten auf den ultimativen DDR-Abrechnungsroman.
Die Ungeduld war groß, so als hätten die Autoren ihn längst in der
Schublade und müssten nur noch einige Leerstellen mit den genauen Daten
und Zahlen füllen. Natürlich kam er nicht. Deshalb wurde manch kleine
Geschichte gierig als Generalabrechnung gelesen und blieb doch nicht
mehr als eine kleine Geschichte. Dann kam das Kino mit seinen Komödien,
dann "Das Leben der Anderen" und es schien, als sei von der Literatur
nichts wirklich Großes über das System DDR zu erwarten. Vielleicht auch,
weil die, die am meisten unter dem Regime gelitten hatten, beizeiten
weggegangen waren und längst geschrieben hatten, was zu schreiben war.
In diesem Frühjahr nun - fast 20 Jahre nach der Wende - sind mehrere
neue Erinnerungsbücher erschienen. Sehr persönliche, meist biografische,
und es scheint, als werde durch sie mehr Wahrheit, mehr Differenzierung
und Stimmung geboten als in der ganzen Literatur der direkten
Nachwendezeit. Auch, weil die neuen Bücher, etwa das der Malerin
Cornelia Schleime, des Schauspielers Winfried Glatzeder und der
Schriftstellerin Irina Liebmann, gerade nicht versuchen, ein allgemeines
Bild mit Hilfe einer erfundenen Geschichte zu zeichnen, sondern ganz
persönliche Erinnerungen erzählen.
Solche hat auch der Maler Hans-Hendrik Grimmling zusammen mit der
Journalistin Doris Liebermann geschrieben. "Die Umerziehung der Vögel"
ist eine Künstlerbiografie von den frühen Erinnerungen eines sächsischen
Jungen, der zeitweise im Kinderheim aufwuchs, über Zeichenkurse und die
Armee (wo er wahlweise Rubens oder Picasso genannt wurde), das Studium
in Leipzig bei Wolfgang Mattheuer bis zum Leben in West-Berlin, das
einige Jahre nach seiner Ausreise aus der DDR wieder Berlin hieß und
auch all die in die Stadt spülte, vor denen Grimmling einst Reißaus
genommen hatte.
Ganz sicher ist diese Biografie nicht repräsentativ und ebenso sicher
erzählt sie von einigen Besäufnissen zu viel, um das Klischee hoher
Literatur zu erfüllen. Doch sie ist ein hervorragendes Stimmungsbuch,
das in seiner ganzen Naivität und dem Unspektakulär-Beschaulichen auf
dem engen Raum zwischen Zwenkau, der Heimatstadt und dem Sehnsuchts-,
Studien- und Lebensort Leipzig viel mehr von den Perversionen eines
Systems erzählt, als jede faktenreiche Abhandlung.
Denn in Grimmlings Biografie spiegelt sich die nun DDR mit all ihren
Vorteilen und Gemeinheiten, ihren Nischen und Freiräumen, ihren
Verführungen und Abhängigkeiten.
Um Anerkennung im System bemüht, wurde auch Grimmling nicht nur
Künstlerverbandsmitglied (die Voraussetzung, überhaupt als Künstler
arbeiten zu können), sondern auch Leipziger Verbandsfunktionär. "Den
Verbandsmitgliedern stand ein ausgeklügeltes Auftragssystem zur
Verfügung, das durch volkseigene Betriebe gefördert wurde und durch sie,
vor allem aber durch den Verband Bildender Künstler, kontrolliert und
manipuliert wurde.
Es war der Versuch, der Gedanken eines Künstlers habhaft zu werden."
Und weiter: "Aus der heutigen Sicht war die Verbandmitgliedschaft eine
Infizierung, ein Krankheitszustand, der zur Folge hatte, dass man als
Opportunist durch dieses Leben schaukelte. Mitglied zu sein, bedeutete
soziale Sicherheit. (...) Immerhin, auch ich und mein Freundeskreis
partizipierten an diesem System und fanden es sogar verträglich,
lukrative Aufträge anzunehmen. Was dagegen in den Ateliers entstand, war
das Andere", schreibt Grimmling.
Selten hat jemand so ehrlich über den Zwiespalt, als Künstler in der DDR
arbeiten und Geld verdienen zu können und sich seine Kunst doch nicht
vorschreiben zu lassen, geschrieben. Das böse Wort vom Auftragskünstler,
das so gern gegen die Ost-Künstler verwendet wurde, bekommt hier seine
wirkliche Bedeutung zurück.
Erst 1984, mit der Eröffnung der legendären Ausstellung "Leipziger
Herbstsalon", den die sechs Künstler-Organisatoren - Günter Huniat, Lutz
Dammbeck, Günter Firit, Frieder Heinze, Olaf Wegewitz und Hans-Hendrik
Grimmling - selbstbewusst "1. Leipziger Herbstsalon" nannten, war
Grimmling klar, dass es nicht nur keinen zweiten geben würde, sondern
dass er das Land, das ihn in seinen Stasi-Akten zum "negativen bildenden
Künstler" gestempelt hatte, verlassen musste.
Zuvor waren bereits Ausstellungen verboten, Bilder scharf kritisiert,
der Künstler immer wieder gegängelt worden. Die Enttäuschungen wurden
mit Alkohol heruntergespült und in endlosen Diskussionen ersäuft, wie
Grimmling fast lakonisch berichtet.
Ein wenig mehr Polemik, mehr Häme, eine Abrechnung mit Stasi und
Künstler-Gängelung hätte manchen Leser sicher erfreut. Doch genau das
hätte Scheitern bedeutet. Grimmling erzählt nicht aus der Sicht des
Allwissenden, sondern versetzt sich mit kindlichem Staunen zurück in
seine Kinder- und Studentenzeit, erzählt von ersten Erfolgen, vielen
schönen Frauen, Mänteln, die ihn männlich machen und der Lust, sich aus
Freude oder Frust zusammen mit den Künstlerfreunden zu betrinken.
Die Stasi-Akten tauchen nur am Rande auf, die Leipziger Lehrer, vor
allem Wolfgang Mattheuer, werden mit mildem Blick abgetan. "Heute
existiert die Legende von großartiger handwerklicher Ausbildung an der
Leipziger Hochschule. Wie alle, lebt auch diese Legende von
Übertreibung, denn Begriffe wie Kreativität und Experiment existierten
nicht mal in der Umgangssprache."
So viel Abgeklärtheit irritiert am Anfang des Buches ein wenig, denn
allzu gern ist man bereit, noch einmal all die alten Geschichten zu
lesen. Doch im Lauf der 280 Seiten begreift auch der wütendste Leser,
dass die Zeit für DDR-Beschimpfungen vorbei ist. In diesem fast
schnörkellosen Rückblick auf sein Leben erschafft Grimmling die
vergangene, bedrückende Wirklichkeit wahrhaftiger als das jede
Beschimpfung könnte.