Der 17. Juni 1953 im Spiegel sowjetischer Geheimdienstdokumente von Klaus-Dieter Müller, Joachim Scherrieble, Mike Schmeitzner
ZEITFENSTER
Es gehört heute zu den gesicherten Erkenntnissen der
Geschichtsschreibung, dass ein landesweites Aufbegehren in der DDR gegen
die SED-Diktatur im Juni 1953 über die Station des Arbeiteraufstandes
zum Volksaufstand heranreifte, der die politische Ordnung des jungen
ostdeutschen Staates existentiell bedrohte. Zweifellos hätte ebensowenig
wie die Parteiführung die Regierung Ulbricht diese Krise allein, nur
mit den eigenen Kräften meistern können. Erst die sowjetischen Panzer
demonstrierten die Stärke einer nicht überwindbaren Kraft und
verhinderten so den drohenden Dammbruch.
Die allgemeine Übereinstimmung in dieser Beurteilung hat stets den
Wunsch geweckt, genauer zu erfahren, was die damaligen Moskauer
Funktionäre und Politiker denn tatsächlich gewusst haben; namentlich,
wie detailliert und wahrheitsgetreu sie über die sich dramatisch
zuspitzende Situation in der DDR im Bilde waren. Lange blieben solche
Einsichten verwehrt. Erst eine Aktenöffnung fünfzig Jahre nach den
Geschehnissen von 1953 ermöglichte, hierüber Klarheit zu gewinnen. Und
so kommt das Studium von 33 seinerzeit streng geheimen Berichten der
Geheimdienste dem Blick in eine erstrangige Quelle gleich, die zeigt,
dass exakte Dokumentation zahlreicher Details der entscheidenden
Stunden, ein sicheres Gespür für die Brisanz der Situation und doch auch
taktische Erwägungen des Berichterstatters in den Fingerzeigen, wie die
Krise gelöst werden könnte, jene Melange ergaben, die den Moskauer
Politikern für ihre letztlich ausschlaggebenden Entscheidungen als
Handreichungen dienten.