Macht und Gewalt

Artikel-Nr.: 978-3-492-20001-1
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In 25 Jahren kann sich eine Taschenbuchreihe bis zur Unkenntlichkeit wandeln. So ist es in gewisser Weise der Serie Piper ergangen. Sie veränderte sich durch Nebenserien und Sonderreihen mit jeweils anderem Outfit so gründlich, dass sie immer unübersichtlicher wurde. Mehr und mehr verlor sie ihre – wie man heute sagt – Corporate Identity und damit ihre Attraktivität. Um diese wiederzufinden, musste etwas getan werden. Das Jubiläum – 25 Jahre Serie Piper – kam da gerade recht. Die Bände der Serie Piper (SP) haben zum Jubiläum ein neues Layout bekommen. In der Fülle der Taschenbuchreihen werden die SP-Bände dank ihrer markanten Ausstattung nicht mehr untergehen, sondern ordentlich Eindruck machen. Sie werden nicht mehr zu übersehen sein. In neuem Gewande sollen von Oktober 1995 bis März 1996 sechzig Titel aus 25 Jahren Serie Piper vorgelegt werden. Die ersten zehn Bände der Jubiläumsedition «The Best of Piper» konnten rechtzeitig zur Buchmesse erscheinen. Unter ihnen befindet sich auch jener Band, mit dem im August 1970 die Serie Piper ihren Anfang nahm: mit der Studie «Macht und Gewalt» von Hannah Arendt (1906–1975). Gelesen mit dem Blick auf die grossen globalen Veränderungen seit 1989, erweisen sich Arendts Analysen vielfach als prophetisch hellsichtig. In den Band wurde auch ein Interview aufgenommen, das Adelbert Reif mit Hannah Arendt geführt hat. Arendt zeigt sich darin «wirklich schockiert», als Reif auf marxistische Intellektuelle verweist, die der Meinung sind, «dass der Sozialismus trotz aller Verfremdungen immer wieder aus eigener Kraft im Stande ist, sich zu regenerieren». Die Herrschaft Stalins eine «Verfremdung» zu nennen sei, erwidert die Philosophin, «ein Euphemismus, mit dem man nicht nur Tatsachen, sondern ungeheure Verbrechen unter den Teppich kehrt». Ein solcher «Jargon» verändere Tatsachen, indem er Verfremdung nenne, was nichts anderes gewesen sei als «ein Verbrechen von gigantischen Ausmassen». Hannah Arendt war davon überzeugt, dass Wirtschaftsreformen den Sozialismus nicht mehr retten können. Denn den Menschen gehe es nicht um ökonomische, sondern um politische Reformen: «Worum es ihnen geht, ist Freiheit mit allem, was dazu gehört: eine geltende Verfassung, gesetzlich gesicherte Rechte, Pressefreiheit, Mitbestimmungsrecht; vor allem das Recht zu sagen, zu schreiben und zu drucken, was ihnen beliebt.» Die Sowjetunion werde immer «zuschlagen», wo sich dieses «Streben nach Freiheit» manifestiere. Aber sie könne nicht mehr überall zuschlagen, denn – so Arendt 1970 – «als Grossmacht sitzt sie nicht mehr so fest im Sattel». 1989 fiel sie dann, um bei diesem Bild zu bleiben, endgültig aus dem Sattel der Weltgrossmacht, weil das Streben nach Freiheit nicht mehr zu unterdrücken war. Zu den anderen SP- Editionen, die im neuen Outfit eine neue Auflage erleben, gehören zum Beispiel der Roman «Das Geheimnis der Pineta» von Carlo Fruttero und Franco Lucentini; von Edith Wharton der Roman «Zeit der Unschuld», den Martin Scorsese 1993 verfilmt hat; als ein weiteres Buch zum Film figuriert Jim Carrolls Roman «In den Strassen von New York» auf der SP-Bestenliste; «Die Entdeckung der Langsamkeit» von Sten Nadolny – mit 1,7 Millionen verkauften Exemplaren der Gesamtauflage ein Bestseller – findet sich ebenso darunter wie Reinhold Messners Bericht über sein Bergsteigerleben «Die Freiheit aufzubrechen, wohin ich will»; ausserdem noch von Paul Watzlawick der Versuch, eine Antwort zu geben auf die Frage «Wie wirklich ist die Wirklichkeit?»; oder von Karl Jaspers der erste Band eines nicht vollendeten Opus, das einer «unerhörten Aufgabe» gewidmet ist: «Die grossen Philosophen». Die unerhörte Aufgabe des Buches sieht Jaspers darin, durch die grossen Philosophen «uns den Raum erhellen zu lassen, in dem wir selbst wirklich werden»: «Wir möchten in die Welt der Grossen gelangen, als Hörende, Lernende und Liebende dort Heimatrecht erwerben dadurch, dass wir in ihrer Gesellschaft, der besten, die wir finden können, zu dem gelangen, was sie selbst sein können.» Dass die Gesellschaft der Philosophen die beste aller möglichen gesellschaftlichen Welten sein soll, mag man in idealistischer Hochstimmung freudig behaupten. Dass es aber in dieser Gesellschaft oft so furchtbar menschlich oder allzu menschlich zugeht wie in anderen menschlichen Gesellschaften, weiss man auch. In ihr herrscht «die kategorische Impertinenz». So lautet der Untertitel einer Sammlung mit Verbalinjurien, die sich Philosophen gegenseitig – heimlich oder öffentlich – angetan haben. Der Philosoph Steffen Dietzsch hat sie herausgegeben: «Philosophen beschimpfen Philosophen – Die kategorische Impertinenz seit Kant» (Reclam Leipzig). Und wie sie sich beschimpfen; z. B. als «Spassmacher», «Sesselfurzer», «Playboy», «Wirrkopf», «Moraltrompeter», «Plattkopf», «Dreiviertelskopf», «Begriffskrüppel», «Maschinist», «Magister Dunkelhut» usw. Man sieht: Philosophen beweisen Geschmack und erweisen sich als geistreich auch dort, wo es um ihren besonderen Beitrag zur Sitten- oder Unsittengeschichte der Menschheit geht. Rainer Hoffmann

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