Die Grenze durch Deutschland: Eine Chronik von 1945 bis 1990 von Roman Grafe

Artikel-Nr.: 978-3-570-55082-3
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Neue Zürcher Zeitung Tod in Probstzella Eine Chronik der DDR-Gewaltherrschaft in Südthüringen de. In wenigen Gegenden ist der Verlauf der ehemaligen innerdeutschen Grenze so kompliziert und unübersichtlich wie im fränkisch- thüringischen Grenzgebiet. Der Freistaat Bayern reicht an mehreren Stellen weit nach Thüringen hinein, während einzelne thüringische Landzipfel tief nach Süden ausgreifen. Die Grenzlinie überquert Taleinschnitte und steile, dicht bewaldete Hügelkuppen. Doch selbst dieses schwierige Terrain hatte die DDR nicht daran gehindert, den Todesstreifen mit dem ganzen Instrumentarium an Minenfeldern, Patrouillenstrassen und Grenzzäunen über das Land zu ziehen. Noch heute sind die entsprechenden Schneisen deutlich zu sehen. Sie erwecken bis jetzt den Eindruck einer Brandspur, die sich in die Natur gefressen hat. Ein Volk entzweigeschnitten Besonders eindrücklich ist die einstige Todeszone von der Thüringer Warte aus zu verfolgen, einem 678 Meter hohen Geländepunkt auf bayrischer Seite, nördlich der Burg Lauenstein und nur gerade gut hundert Meter von der Grenze entfernt. Vom Aussichtsturm aus ist noch heute die Bresche zu erkennen, wie sie sich von Westen über die Hügel heranzieht, dann steil ins Tal der Loquitz bei Probstzella abtaucht und weiter im Osten wieder auf die Höhenzüge hinaufsteigt. Nicht nur schnitt sie zu DDR-Zeiten ein Gebiet mit engen Verbindungen entzwei; der Stacheldraht blockierte auch die wichtige Zugstrecke München–Berlin, die durch das Tal der Loquitz von Süden nach Norden verläuft. Probstzella wurde so ungewollt zu einer der berüchtigten Grenzübergangsstellen, an welchen im besten Falle noch ein scharf überwachter, schikanöser Übergang nach der Bundesrepublik möglich war. Das ist heute Vergangenheit. Der Verkehr rollt wieder ungehindert durch Probstzella, der Horror des DDR-Grenzregimes wirkt nur noch wie ein Spuk. Dass die Untaten, welche an dieser Grenze geschahen, nicht vergessen gehen, ist das Verdienst eines Buches von Roman Grafe. Auf über 500 Seiten beschreibt der Autor minuziös, wie Probstzella und die Nachbargemeinden nach 1945 sukzessive diesem Grenzregime unterworfen wurden, wie sich die Sowjetisierung der ostdeutschen Gesellschaft auf den Mikrokosmos der Bauerndörfer auswirkte, wie sich das Beziehungsnetz von Familien und Freunden in ein solches von Tätern und Opfern, von Mitläufern und Rebellen ausdifferenzierte. Entstanden ist ein monumentales Werk über den Alltag von 40 Jahren Diktatur, deren Schrecken schon heute, nur 13 Jahre nach ihrem Ende, kaum mehr nachzuvollziehen ist. Grafe hat in unendlich fleissiger Sammlerarbeit eine faszinierende Chronologie zusammengefügt, die mit den letzten Kriegstagen beginnt. Schon kurz danach wurde es immer schwieriger, von Probstzella nach Ludwigsstadt in Bayern zu gelangen. Russische Truppen standen an der thüringischen Grenze. Sie entschieden darüber, wer mit wem nach Süden reisen durfte. Aber erst die DDR betrieb dann die hermetische Abriegelung. Nicht nur, dass ein eigentlicher Todesstreifen angelegt wurde. Das SED-Regime begann auch hier mit der Errichtung einer Sperrzone, die die Bewohner unsäglicher Willkür unterwarf. Die Summe von Einzelschicksalen Eindrücklich sind die Schilderungen der von den Zwangsumsiedlungen Betroffenen und die entsprechenden Anweisungen der Volkspolizei, welche die als «Aktion Ungeziefer» benannten Deportationen durchzuführen hatte. Langsam kam das normale Leben in Probstzella zum Erliegen. Aber ruhig war es an der Grenze nie. Immer wieder wurden Fluchtversuche unternommen. Im Aussichtsturm auf der Thüringer Warte gibt es Informationstafeln hierzu. Aber erst aus Grafes Buch entnimmt man, wie oft und mit welcher Verzweiflung DDR-Angehörige versuchten, gerade in diesem unübersichtlichen Gelände in die Freiheit zu gelangen. Zahlreiche Fälle von Menschen sind registriert, die zu Tode kamen, die angeschossen oder von Minen verstümmelt wurden. Die 21-jährige Sieglinde Bunde zum Beispiel, eine Elektromonteurin aus dem sächsischen Grimma, versuchte im Juni 1973 mit ihrem ungarischen Freund Laszlo Balogh nach Westen zu fliehen. Eine Mine zerfetzte ihr rechtes Bein. Als ihr Freund sie über den letzten Grenzzaun zu hieven versuchte, wurde er von Kugeln eines Grenzpolizisten getroffen. Er starb in den Armen der Schwerverletzten. Ein weiterer «Grenzverletzer», der ins «feindwärtige Gebiet» hatte fliehen wollen, war getreu der DDR-Dienstvorschrift «vernichtet» worden. Sieglinde Bunde kam für über zwei Jahre ins Gefängnis. Wunden nach der Öffnung Grafe ordnet diese Vorkommnisse in Probstzella immer wieder in den Zusammenhang der grossen Politik ein. Er schildert, wie sich der Ostberliner Aufstand vom Juni 1953 auf die Bewohner des Thüringer Grenzgebietes auswirkte oder welches die Folgen des Mauerbaus in Berlin waren. Und er beschreibt natürlich auch, wie im November 1989 just im Grenzgebiet von Probstzella die Sperranlagen niedergerissen wurden. Gerade in jenen dramatischen Tagen zeigte sich, wie wenig es der Diktatur trotz aller Infamie gelungen war, den Geist der Nachbarschaft im thüringisch-bayrischen Grenzgebiet zu vernichten. Genauso wertvoll wie die Chronologie ist der zweite Teil von Grafes Buch, ein langer Epilog mit den Titeln «Öffnungen» und «Prozesse». Hier nimmt der Autor viele der Fäden wieder auf, die durch das Grenzregime zerrissen wurden. Die Opfer kommen zu Wort, die damaligen Täter, nun Bürgerinnen und Bürger desselben Staates, ebenfalls. Grafe findet auch Sieglinde Bunde wieder. Von der hübschen Frau von einst ist ein menschliches Wrack geblieben, von einer Rente lebend. Der damalige Todesschütze lebt nicht mehr. Andere Opfer haben die Täter wieder aufgespürt und ihnen Fragen zu stellen versucht, Gerichte haben Schützen und Befehlshaber abgeurteilt, andere freigesprochen. Schuld und Sühne, Reue und Renitenz durchziehen die zahllosen Biographien, mit deren Durchleuchtung Grafe sein eindrückliches Werk abrundet. Das Buch ist eine eminent wichtige Hilfe beim Versuch, das innerdeutsche Drama zu verstehen und sich darüber klar zu werden, dass sich diese Geschichte nie wiederholen darf. -- Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels. Kurzbeschreibung Probstzella in Thüringen, rund zweitausend Menschen leben hier. Nur ein paar hundert Meter hinter dem Ortsausgang verläuft die Grenze zu Bayern. Seit 1885 an der Bahnstrecke Berlin-München gelegen, war Probstzella von 1949 bis 1990 "Grenzübergangsstelle" der Deutschen Demokratischen Republik. Roman Grafe hat den Ort zum Mittelpunkt seiner Darstellung gemacht. Bewohner des Grenzgebietes erzählen von den Jahren nach 1945, als man die Not durch zahlreiche Tauschgeschäfte über die Demarkationslinie zu lindern suchte. Sie erzählen vom Frühjahr 1952, als die ersten Sperranlagen an der DDR-Grenze errichtet und mehr als achttausend Menschen als "feindliche Elemente" aus dem Grenzgebiet ausgesiedelt wurden. Die politischen Hintergründe des Grenzregimes werden ebenso aufgezeigt wie die verlogene Propaganda der SED. Vor allem aber wird geschildert, wie Menschen die Westgrenze der DDR zu überwinden versuchten. Es gab verzweifelte Fluchtversuche zu Fuß über die Sperranlagen oder, versteckt im Hohlraum über einer Abteildecke, im Interzonenzug. Im Herbst 1989 wurde die Grenze geöffnet. Im zweiten Teil erfährt der Leser in Reportagen, durch Porträts und Interviews, was aus den Protagonisten dieser Grenze, was aus Tätern und Opfern nach dem Mauerfall geworden ist. Man liest, wie Flüchtlinge, Ausgesiedelte, Dortgebliebene, Grenzsoldaten und Offiziere ihr Tun und Lassen in der DDR rückblickend erklären oder verklären. Dieses Buch trägt bei zum Verständnis von Leben und Sterben an jener Grenze, die Deutschland fünfundvierzig Jahre lang teilte.

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