Die mit erheblichem propagandistischen Aufwand als „demokratischer Neubeginn“ deklarierte Wiedereröffnung der Universitäten nach Ende der nationalsozialistischen Diktatur auf dem Boden der sowjetischen Besatzungszone war vor allem von vielen Hoffnungen jener jungen Menschen begleitet, die sich nach zwölf Jahren der Knebelung des freien Geistes nun in die Matrikel der Hohen Schulen einschrieben. Schon bald sollte sich jedoch zeigen, daß diese Erwartungen keineswegs sämtlich in Erfüllung gehen würden.
Denn mit der Verfestigung der neuen Machtstrukturen in der Besatzungszone und danach in der jungen DDR entfaltete sich auch ein rigider politischer Kontrollapparat, der namentlich an den Universitäten zu weitaus heftigeren Konflikten führte, als heute allgemein erinnert wird. Daß hierbei unter den nun ostdeutschen Universitäten Halle einen besonderen Rang gewann, gehört zu schmerzlichen Seiten ihrer Historie.
Sybille Gerstengarbe und Horst Hennig haben in mehrjähriger Forschungsarbeit für die Jahre 1945 bis 1961 unter anderem ermittelt, daß hier weit über 150 Universitätsangehörige Verhaftungen anheimfielen, die großenteils in langjährige Haftstrafen mündeten. Während sich in den ersten Nachkriegsjahren nicht selten Rektor und Senat für verfolgte Wissenschaftler und Studenten einsetzten, obsiegte später allzuhäufig Opportunismus, in dessen Gefolge eine Unterstützung für die Opfer der Repression unterblieb – ein besonders schmerzliches und beklemmendes Kapitel der Universitätsgeschichte.
Die überlieferten Akten geben hierzu zahlreiche Einzelheiten preis, deren Dokumentation im vorliegenden Buch zum einen belegt, wie engmaschig der Unterdrückungsapparat fungierte. Zum anderen kann aber ebenso die Erkenntnis gewonnen werden, daß das Streben nach geistiger und politischer Freiheit zu keiner Zeit vollkommen abgestorben war.
Indem die Opfer politischer Repression wieder Gesicht und Namen gewinnen, finden Sie gleichsam den ihnen gebührenden Platz in der Geschichte einer der ältesten Universitäten Deutschlands.
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Dokumente / Vorschau-
Rezension(en)
Was Sybille Gerstengarbe, eine promovierte Biologin im Ruhestand, und ihr Ko-Autor Horst Hennig, Bundeswehr-Generalarzt a.D., der zu den verhafteten Hallenser Studenten gehörte und als ehemaliger Workuta-Häftling zugleich Zeitzeuge ist – an bisher weithin unbekannten Materialien aus deutschen und russischen Archiven zusammengetragen haben, angereichert durch zahlreiche Fotos und Faksimiles, ist von kaum zu überschätzenden zeithistorischem Wert.
Chronologisch nach Jahren geordnet und knapp kommentiert, haben sie Erlebnisberichte, Auszüge aus Vernehmungsprotokollen des MGB und des MfS, Gerichtsurteile und Rehabilitierungsurkunden zusammengestellt, ferner Schriftstücke aus dem Universitätsarchiv. Ein Steinbruch für künftige Forschungen zu einschlägiger Thematik.
Bis zum Bau der Berliner Mauer registrierten die Herausgeber 168 Verhaftungen unter Studierenden, vereinzelt auch unter Assistenten, Dozenten und Professoren. Ihre Schicksale werden in kurzen Biogrammen skizziert. Alles in allem ist die Dokumentation als ein gewichtiger Beitrag zur Oppositions- und Widerstandsgeschichte im akademischen Bereich der Saale-Stadt zu qualifizieren. Darüber hinaus wird mit ihr ein Stück Geschichte der Alma Mater Hallensis aufgearbeitet.
Karl Wilhelm Fricke, Deutschland Archiv
Der Mediziner Horst Hennig aus Köln, selbst viele Jahre im berüchtigten Lager Workuta jenseits des Polarkreises inhaftiert, und die Wissenschaftshistorikerin Sybille Gerstengarbe haben in langwieriger und akribischer Kleinarbeit eine einzigartige Dokumentation zusammengestellt, die „Opposition, Widerstand und Verfolgung“ von Angehörigen aller Statusgruppen der Martin-Luther-Universität zwischen Kriegsende und Mauerbau belegt.
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Anhand umfangreicher Nachforschungen in den Archiven der MLU und der Leopoldina sowie durch Kontakte zu den russischen Militärarchiven in Moskau und Podolsk gelang es den Autoren, ein nahezu lückenloses Bild des auch an der halleschen Universität perfekt funktionierenden, perfiden Systems der Bespitzelung, Denunziation, Gleichschaltung und Ausschaltung zu zeichnen.
Gespräche mit Zeitzeugen – viele sind es nicht mehr – trugen dazu bei, manche Vorgänge sehr detailliert darstellen zu können.
Einzelne Schicksale wie die des Sportlehrers Helmut Huwe, des Slawistikstudenten Herbert Schönmuth, des Studentenpfarrers Johannes Hamel oder des Geologen Hans Gallwitz beeindrucken tief.
Der Essay „Wie kommt ein Student [...] nach Workuta?“ (Seiten 144–190) ist in einigen Passagen von so schauerlicher Intensität, dass selbst jenen, die vielleicht wirklich von nichts etwas gewusst oder geahnt haben mögen, ein düsteres Licht aufgegangen sein muss über den wahren Charakter des „sozialistischen Lagers“, in dem sie bis zur Wende lebten.
Vor dem Vorwort heißt es:
„Dieses Buch ist den Opfern aller Diktaturen gewidmet.“ Dies bei der Lektüre bedenkend, kann dieses publizistische Projekt als Wegzeichen im Bemühen um eine menschlich(er)e Gesellschaft gar nicht hoch genug geschätzt werden.