Oberbaum Verlag 2001
Sandor Marai, 1900 - 1989. In den dreißiger Jahren einer der gefeierten
Autoren Ungarns, nach seiner Emigration in Vergessenheit geraten. Mit
dem internationalen Erfolg seines Romans "Die Glut" wurde Marai als
einer der großen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts erkannt.
Auf dem Cover werden die "Bekenntnisse eines Bürgers" als Roman
vorgestellt. Für begeisterte "Glut"-Leser erstmal eine kleine
Enttäuschung: kein Roman...es handelt sich hier um die Autobiographie
des großen ungarischen Romanciers.
Wir werden in eine Welt
eingeführt, die es nicht mehr gibt. Zentralheizungen röcheln und
glucksen, elektrisches Licht flackert. Sándor wächst in einem Mietshaus
auf, in dem galizische Juden noch einen Kaftan tragen. Die
"neologischen" Juden im zweiten Stock haben aber mit ihren Traditionen
gebrochen, sie sind reich, hochmütig und leben zurückgezogen, die
Kinder dieser Familie spielen nicht mit anderen Kindern. Márai erträgt
diese ungerechten Auswüchse verschiedener Gesellschaftsklassen schon
damals nicht und sperrt den Gymnasiasten der weltmännischen Juden in
einem Kesselraum ein.
Eine Passage über die niedrige Stellung der
Dienstmädchen könnte als Einleitung zu Deszö Kosztolányis Roman "Édes
Anna" dienen. Tatsächlich, auch im Hause Sándor Márais fuchtelte eine
Magd mit dem Messer - Gott sei Dank, ohne ein Blutbad anzurichten.
Aus
der Idylle seiner Kindheit wurde Sándor mit sechs Jahren
herausgerissen, weil seine neugeborene Schwester im Mittelpunkt
elterlicher Fürsorge rückte. Er löste sich zum erstenmal von seiner
Familie und suchte neue Gemeinschaften. Der zweite Bruch kam mit
vierzehn. Er riß aus. Er riß sich los von starren uneinsichtigen
päödagogischen Prinzipien. Dieser Riß ließ sich nicht mehr flicken, er
fühlte sich niemanden mehr zugehörig, er vereinsamte innerlich. Sein
späteres umherirren im Exil ist in seiner Kindheit schon tragisch
vorgezeichnet.
Alle Menschen, die ein Interesse an osteuropäischer Kultur haben, sollten an dieser Autobiographie nicht vorbeigehen